Vor drei Jahren beschlossen einige ehemalige
Wühlmäuse, ein Buch über diese Schülerzeitung
herauszugeben. Es sollte im Herbst des Jahres 2020,
pünktlich zum Start der 1. Nummer erscheinen.
Wie bei vielen Projekten dieser Größenordnung
gab es viele Diskussionen und Änderungen in der
Planung. Zunächst sollten es wegen der Fülle an
Material zwei verschiedene Bücher werden, eine Idee,
die jedoch vor kurzem aufgegeben wurde.
Die „Wullmaus“ war ein Spiegel ihrer Zeit. Sie
versuchte, aus der Perspektive der fortschrittlichen
Schüler und Studenten die Ereignisse der 70er Jahre
in Luxemburg darzustellen. Das Narrativ ist nicht
neutral, sondern das Buch will Aussagen machen
über die Ungerechtigkeit des Schulsystems, die
Unterdrückung der fortschrittlichen Schüler und
Studenten, die Parteilichkeit von Politik, Polizei und
Justiz, die Dominanz klerikaler und faschistoider
Reaktionäre in Kunst und Kultur, die Bevormundung erwachsener Bürger über was sie zu tun, lesen,
schauen und lassen hatten, die Verherrlichung von
Gewalt gegenüber den Opfern von imperialistischen
Kolonialkriegen und Diktaturen in Spanien, Griechenland, Chile, Kongo, usw.
Doch immer wieder stellt sich die Frage, ob in
diesem Buch die Ereignisse, die sich in den Jahren
1970 bis 1975 und später zwischen 1978 und 1979
ereignet hatten, auch akkurat wiedergegeben werden.
Vieles wurde unter dem Mantel der Zeit
begraben, viele Zeitzeugen sind bereits gestorben
und ihre wichtigen Erinnerungen sind für immer
verloren. Aber auch die der Lebenden sind lückenhaft
und müssen mühsam aus dem Gedächtnis gekramt
werden. Es gilt also, aus den vielen Puzzlestücken
ein einigermaßen vollständiges Bild der damaligen
Zeit zu rekonstruieren.
Die wichtigsten Gedächtnisstützen sind
selbstverständlich die 30 Nummern der „Ro’d
Wullmaus“ und die 8 Nummern der „Nei Ro’d
Wullmaus“. Viele Nummern waren vergriffen, aber es
gelang, aus privaten Sammlungen, aus den Archiven
der Nationalbibliothek und den Staatsarchiven die
Sammlung zu vervollständigen. Aber die Wullmaus
war nicht die einzige Quelle: Da war z.B. die „Voix“
von der ASSOSS, in der viele spätere „Wullmaus“-
Autoren ihre ersten Artikel publizierten. Träger der
„Wullmaus“ war der „CLAN – sozialistischer Schülerbund“, der nachher im Zuge der Radikalisierung
der Bewegung mehrmals umbenannt wurde. Dann
gab es zahlreiche „Infos“, Flugblätter und Artikel
aus der Tagespresse, die fast alle verschwunden sind.
Soweit vorhanden, wurden sie in die Redaktion
dieses Buches eingebunden. Aus dem Nachlass von
Jean Heisbourg, Marius Dées de Sterio und einigen
Studenten wurden auch die meisten Exemplare der
„Voix“ und der KSZ (Kommunistische Studentenzeitung) für die Nachwelt „gerettet“.
Auch die Zeitschriften der rivalisierenden
Gruppen wie der „Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) wie der „Klassenkampf“, die „Schülerfront“, Organ der gleichnamigen Schülerorganisation
der LCR lieferten – wenn auch nur indirekt – Informationen zu den politischen Ereignissen der 70er.
Ab 1972 erschien auch die „Rote Fahne“, Organ der GSR (Gauche Socialiste et Révolutionnaire).
Der CLAN, alias Kommunistischer Schülerbund,
wurde zum Kommunistischen Jugendbund (KJB),
da auch Lehrlinge und junge Arbeiter angesprochen
werden sollten.
Es gibt wenig geschichtliche Analysen der
Studentenbewegung in Luxemburg. Ausnahmen
sind der Artikel von Ronald Pierre im „Forum“ Nr.
103 vom Mai 1988 „Chronologie der Jugendradikalisierung in Luxemburg 1968-1973“ und das Buch
von Marc Birchen: „Schülerzeitungen im Spiegel der
Zeit“ (Fondation Lydie Schmit, Luxembourg 2018),
in dem die „Wullmaus“ ausführlich besprochen wird.
Zu erwähnen bleiben auch der „Stodent“
der UNEL (Union Nationale des Étudiants Luxembourgeois) sowie die zahlreichen kurzlebigen
Blätter einiger verwöhnter Muttersöhnchen, die
mit der aktiven Unterstützung der damaligen Lyzeumsdirektoren und einigen Geschäftsleuten ihr
bescheidenes und kurzes Dasein fristeten.
„50 Jahre Ro’d Wullmaus“ hat deshalb nicht
den Anspruch, eine umfassende Beschreibung der
70er Jahre sein. Dazu braucht es noch viele Anstrengungen und Forschung. Hilfreich wäre es
auch, wenn z.B. im Nationalarchiv oder in der
Nationalbibliothek ein Archiv eingerichtet würde, in
dem die Publikationen und audiovisuelles Material
aus dieser Zeit zusammengeführt werden könnten.
Die Exemplare der „Wullmaus“ und der anderen Zeitschriften wurden mit den einfachsten Mitteln hergestellt: Die Texte wurden mit klapperigen
Schreibmaschinen in Wachsmatrizen gehämmert.
Auch die Zeichnungen wurden in die Matrizen
geritzt, was dazu führte , dass sie nach 50 Jahren
nur noch fehlerhaft erhalten sind. Dies machte
auch das Scannen schwierig und noch viel mehr die
Texterfassung mittels Texterkennungsprogrammen
(OCR). Eine zusätzliche Schwierigkeit bestand in
den vielen Sprachen, die in der „Wullmaus“ benutzt
wurden. Dann musste entschieden werden, welche
Teile der Artikel im Buch zitiert werden sollten, und
welche nicht. Weil es Leser interessieren könnte die
vollständigen Texte nachzulesen, wurde eine „Textausgabe“ in 2 Bänden veröffentlicht, die über Internet
(BoD, Amazon, etc.) gekauft werden können. Ein
anderes Problem waren die vielen Schriften, die
in der „Wullmaus“ gebraucht wurden, mal Groß-,
mal Kleinbuchstaben, mal gerade, mal kursiv, mal
deutlich und meistens undeutlich.
Auch die Zeichnungen stellten ein Problem
dar: Manche waren so undeutlich, dass sie neugezeichnet werden mussten, so nahe wie möglich am
Original. Da ergab sich die Möglichkeit, einige
Karikaturen farbig zu gestalten. Die Karikaturen
der „Wullmaus“ reichten allerdings nicht aus, um
ein abwechslungsreiches Buch zu gestalten. Deshalb
wurden auch Karikaturen, vor allem aus der „Voix“
der ASSOSS aus der Vergessenheit gerettet. Die
ASSOSS hatte ja einen erfolgreichen Kampf gegen
Militarismus und Klerikalismus geführt. Auch
zahlreiche (lizenzfreie) Fotos aus dem Internet
fanden ihren Weg auf die Seiten dieses Buches. Es
ist nicht immer einfach herauszufinden, ob die
Bilder effektiv lizenzfrei sind, aber die Autoren
dieses Buches haben sich redlich darum bemüht.
Falls dennoch einige urheberrechtlich geschützte
Fotos und/oder Karikaturen im Buch enthalten
sein sollten, so geschah dies nicht mit Absicht. Einige Bilder aus der Fotothek der Stadt Luxemburg
wurden auch „gekauft“.
Am Ende halten Sie ein Buch in der Hand,
das sicherlich nicht nur positive Reaktionen auslösen wird. Es beschreibt aber einen Zeitabschnitt,
der ohne Zweifel zu den interessantesten in unserer
jüngeren Geschichte gehört.
Viel Spaß bei der Lektüre.
Robert Soisson
André Gilbertz